Ronaldo lässt seine Mitspieler glänzen: Der König als Diener (2024)

Zu früh geschimpft: Cristiano Ronaldo, das ist hinlänglich bekannt, geht seinem Beruf mit großer Leidenschaft nach. Zuletzt kämpfte der 39 Jahre alte Portugiese nach der Pleite im saudi-arabischen Pokalfinale mit den Tränen. Während Portugals EM-Gruppenspiel gegen die Türkei war es dann Ärger, der sich Bahn brach. Mitspieler João Cancelo hatte den Ball erobert, nach vorn getragen – und dann das Abspiel auf Mittelstürmer Ronaldo verschludert, was dieser für ein paar Sekunden persönlich nahm. Ronaldo drehte sich weg, auch die Kamera schwenkte um. Doch dann stand es trotzdem plötzlich 2:0: Fernab aller Portugiesen hatte Samet Akaydin den eigenen Torhüter Altay Bayındır mit einem irrwitzig unpräzisen Rückpass überwunden (28. Minute). Als Felix Zwayers Torlinientechnik den Treffer bestätigte, jubelte auch Ronaldo. In einer EM der Eigentore ist Bayındırs Missgeschick das bislang kurioseste.

Das Ergebnis: 3:0 (2:0) bezwingt Mitfavorit Portugal eine türkische Mannschaft, deren Spielfreude diesmal die defensiven Schwächen nicht kaschieren konnte. Das garantiert den Portugiesen schon jetzt das Achtelfinale bei dieser Europameisterschaft – und den Gruppensieg. Zum Spielbericht geht es hier.

Entkernt: Furchtlos, offensiv und mit traumhaft schönen Toren: Die Türkei zählte zu den Teams, die am ersten EM-Spieltag mit den besten Eindruck hinterlassen hatten. Trotzdem stellte Trainer Vincenzo Montella seine Mannschaft auf vier Positionen um. Nicht alle diese Wechsel waren freiwillig. So etwa war Jungstar Arda Güler schon am Vortag als angeschlagen gemeldet worden, und bei Stammtorhüter Mert Günok reichte es verletzungsbedingt nicht einmal für die Bank.

Der Schwalbenprinz: Angefeuert von einer überwältigenden Fan-Mehrheit im Dortmunder Stadion rückten die Türken dennoch nicht von ihrem offensiven, spielerischen Ansatz ab. Ärgerlich nur, dass Portugal diesen viel besser zu bestrafen wusste als zuvor Georgien. Einer der portugiesischen Extraklasse-Spieler ist Rafael Leão von der AC Mailand. Vor Bernardo Silvas Führungstreffer steuerte der Linksaußen den vorletzten Pass bei, seine auffälligste Szene hatte Leão aber, als Zwayer ihn mit Gelb für eine Schwalbe abstrafte. Kurios: Es war die zweite Schwalbe im zweiten Gruppenspiel, mit seinen zwei Verwarnungen wird Leão zum Abschluss gegen Georgien fehlen. Den Portugiesen wird es recht sein, denn der Gruppensieg ist sicher.

Ein Mann des Volkes: Nach dem Seitenwechsel zeigte Ronaldo sich dann nicht mehr als der leicht frustrierte Ehrgeizling, sondern als altersweiser Wohltäter: Einem Steilpass von Rúben Neves bot er den perfekten Laufweg an, um frei vor dem Tor dann nicht zu schießen, sondern für den mitgelaufenen Bruno Fernandes aufzulegen (55.). Kurz nach dieser großen Geste nahm sich Ronaldo die Zeit, einem offenbar frisch schulpflichtigen Flitzer seinen Selfie-Wunsch zu erfüllen (die vier, die noch folgen sollten, hatten mitunter weniger Glück). Von den Tribünen gab es dafür Sprechchöre. Der ewige Ronaldo hat auch bei seiner sechsten EM dem Turnier noch einiges zu geben.

Der schwärzeste Tag: Nach dem 0:3 trudelte das Spiel so aus, mit ein paar Chancen hier und da, aber ohne große Fallhöhe. Für den Eigentorschützen Akaydin hatte diese Partie offenbar noch weitere Strafen vorgesehen. Die Erste kam noch vor der Pause in Form einer umstrittenen Gelben Karte, die Zweite folgte eine Viertelstunde vor Schluss mit einer verletzungsbedingten Auswechslung. Die Defensive, sie bleibt die türkische Sollbruchstelle.